Texte aus dem Jahr 1997
 
Thomas Huber
über die Arbeit von Hannes Kater

Gutachten für ein DAAD-Stipendium von Thomas Huber


Nur zwei Dinge

Durch soviel Formen geschritten,
durch Ich und Wir und Du,
doch alles blieb erlitten
durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.
Dir wurde spät bewußt,
es gibt nur eines: ertrage
- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -
dein fernbestimmtes: Du mußt.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,
was alles erblühte, verblich,
es gibt nur zwei Dinge: die Leere
und das gezeichnete Ich.
Thomas Huber Deckblatt
Gottfried Benn mag das "gezeichnete Ich" als das vom Leben gezeichnete gedacht haben. Erlauben wir uns im Angesicht von Hannes Kater's Diagrammen das Ich auch als ein gezeichnetes, vom Stift gezeichnetes aufzufassen, und die Leere als die Leere des Blattes - sei das leere Blatt nun rauh oder glatt. (Kater beschreibt akribisch die Vor- und Nachteile beider Möglichkeiten.)

In Kater's Zeichnungen schreitet das Ich durch viele Formen, wie es im Anfang des Benn'schen Gedichtes heisst. Es fliesst die Linie des Stiftes in allerlei Gebärden, verwandelt sie und schreibt Wege auf das Blatt. Die Linie hat einen Anfang und ein Ende. Gut, wie Hannes Kater es sagt: ein kleines Ende, grosse Enden wären schwierig zu ertragen und würden es kaum erlauben, danach den Stift neu anzusetzen und eine neue Zeichnung zu beginnen. Die Bildwelten Kater's sind im Fluss, haben einen unversiegbaren Quell. Kater ist zu beneiden.

Der Wunsch die Welt zu erklären ist zu spüren, zu sehen, in den Zeichnungen. Sie erinnern oft an mittelalterliche, kosmologische Weltmodelle, zitieren hierarchische Gliederungen wesentlicher Belange. Aber es bleiben momentane An-deutungen, sie werden nicht dogmatisch festgezurrt.

Die Zeichnungen erfinden von Moment zu Moment neue Balancen des Gleichgewichts, austariert auch mit einer Geste des Humors. Darum sind diese Lebenswege, Zeichenwege des Stiftes nie pathetisch tragisch wie bei Benn. Es wird nicht geschritten, sondern fast mehr geflogen.
Vertrauensvoll folgt Kater der Spur seines Stiftes. Dieser zeichnet einen klaren, nie verhuschten, einen gangbaren Weg vor, dass es eine Lust ist ihm auf den immer verschlungeneren Pfaden zu folgen, sich in die Labyrinthe Katers führen zu lassen.

Die Linien erzählen. Sie zählen die Dinge, zählen sie auf und erzählen ihre Nähen und Fernen zueinander. Kater verweist selbst auf die Notwendigkeit der Geschichten, auf die Möglichkeit der Erzählung. Künstlerische Unternehmungen haben sich heute, schon offensichtlich, in der statischen Inszenierung, in der selbstherrlichen Geste purer Raumbeherrschung, zunehmend zu unüberprüfbaren Behauptungen gemacht. Demgegenüber ist das Erzählen ein Feld, eine Gegend, das nachvollziehbare und gangbare Wege aufzeichnet: Kommunizierbare Wege.

'Erzähle mir ein Bild', sagt Kater 'und ich zeichne Deine Erzählung nach.' Erzählen, Beschreiben, Nachzeichnen und nicht Behaupten setzt auf das Verbinden und Verknüpfen, folgt geduldig den Verschlingungen der Verhältnisse, folgt der Linie der Beziehungen.
Kater arbeitet in einem Selbstverständnis dem heute wieder vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es ist die Landschaft zwischen Bild und Schrift, zwischen Zeichen und Linie, man erinnere sich an William Hogart's Idee der schönen Gebärde untersucht in seinen Fluktuationslinien, von Handke kürzlich einfühlsam nachgedacht, an die Linien von Lawrence Stern im Tristan Shandy.
Thomas Huber - Oktober ‘97


 Zum Seitenanfang



[ Home | Zeichnungsgenerator | Aktuell | Zeichnungen | Projekte | Texte | Service ]
[ Impressum | Mail an Hannes Kater ]