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Aktuelle und historische Artist Statements | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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2024-12 |
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Die produktive Logik der Nachträglichkeit Überlegungen zu Hannes Katers Arbeitsmethodik im Lichte von Lüthys Duchamp-Analyse In einem längeren Gespräch machte mich Hannes Kater auf Michael Lüthys lesenswerte Analyse von Duchamps "Poetik der Nachträglichkeit"* aufmerksam. Kater war von Lüthys Beobachtung fasziniert, wie Duchamp seine Readymades über Jahrzehnte hinweg "im Nachhinein und durch Hinzufügung[en] rekonstituiert" hatte, und erkannte darin eine theoretische Legitimation für seine eigene Arbeitsweise. Mit der ihm eigenen Offenheit gestand er, dass er selbst "keine Hemmungen" habe, die Genese seines Darstellerlexikons "anzupassen, wenn es denn der Sache dient", und dass er diese Praxis bislang "verschleiert" habe. Spatiale Logik statt chronologischer Determination Kater dachte Lüthys Anmerkungen zu Duchamp weiter und schlug eine systematische Analogie zwischen Bildwahrnehmung und Werkentwicklung vor. Wenn die Bildbetrachtung nicht chronologisch und linear, sondern einer spatialen Logik folgt, wobei der Blick vor und zurück springen, und bei Details verweilen, kann, um dann zu bereits gesehenen Elementen zurück zu kehren, danach Relationen zwischen entfernten Bildteilen zu erfassen, usw. dann wäre es widersprüchlich, den Umgang mit dem eigenen Werk einer linearer Chronologie zu unterwerfen. Wie der Betrachter im Bild muss der Künstler in der eigenen Werkgeschichte vor- und zurückspringen können, um optimale Bedeutungskonstellationen zu erzeugen und so sein Arbeit besser weiter entwickeln zu können. Das gerade Kater zu so einer Schlussfolgerung kommt, liegt nahe, ist er doch ein Künstler, der ein System entwickelt, das explizit auf dieser spatialen Grammatik basiert. Die Logik seines Systems erfordert eine entsprechende Logik der Selbstreflexion. |
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Das Geständnis der Optimierung Was Kater als seine "Verschleierung" charakterisierte, praktiziert jeder Mensch alltäglich: die abendliche Revision des Erlebten, wenn man sich nach einer unbefriedigenden Begegnung die Antworten zurechtlegt, die man "eigentlich" hätte geben sollen. Diese nachträgliche Rekonstruktion ist produktive Arbeit am eigenen Erkenntnisapparat. Duchamp operierte - wie Lüthy zeigt - nach derselben Logik: Die "wahre" Geschichte der Readymades konstituierte sich nicht zwischen 1913 und 1917, sondern zwischen 1930 und 1968 als reflektierte Erzählung. Die nachträgliche Bearbeitung war nicht Verrat an der ursprünglichen Idee, sondern deren eigentliche Vollendung. |
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Diese Poetik der produktiven Nachträglichkeit ist fundamental zu unterscheiden von kommerziell motivierten Manipulationen. Wenn, zum Beispiel, Damien Hirst Arbeiten rückdatiert, um sie teurer zu verkaufen, handelt es sich um Betrug am Markt.** Der Skandal entsteht, weil hier die ökonomische Logik der Chronologie mit falschen Mitteln bedient wird. Duchamps und Katers Verfahren operieren anders: Hier wird die Werklogik selbst zur Vollendung gebracht. Die nachträgliche Modifikation dient der Bedeutungsoptimierung, nicht der Wertsteigerung. Die systemimmanente Temporalität des Werks wird von der zufälligen Chronologie seiner materiellen Entstehung befreit. |
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Temporalität als Material Diese temporale Flexibilität ermöglicht die Simultanität verschiedener Zeitebenen: Entstehung, Reflexion und optimierte Darstellung werden zu einem komplexen Zeitgefüge verschränkt. Das Darstellerlexikon rekonstituiert kontinuierlich seine eigene Geschichte entsprechend seiner systeminmanenten Logik. Die "Verschleierung" dieser Arbeitsweise ist ästhetische Notwendigkeit: Das System muss organisch wirken, obwohl es das Produkt kontinuierlicher Optimierungsprozesse ist. Zeit wird vom passiven Medium der Ereignisfolge zum aktiven Material künstlerischer Gestaltung. Katers Offenheit bezüglich seiner "Optimierungspraxis" macht deutlich: Es geht nicht um Täuschung, sondern um konsequente Anwendung spatialer Grammatik auf die eigene Werkgeschichte. Die Poetik der Nachträglichkeit ist nicht nur historisches Phänomen, sondern zeitgenössische Notwendigkeit für jeden, der mit komplexen visuellen Systemen arbeitet. H. D., Dezember 2024 |
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Anhang Zentrale Passagen aus Lüthys "Poetik der Nachträglichkeit" Wenn folgendes allgemein akzeptiert ist: Zitat: "Duchamp hat das künstlerische Tun, das bislang durch handwerkliches Geschick und den ästhetischen Reiz des Materials geprägt gewesen sei, in eine rein geistige Praxis überführt: in die Reflexion über das Verhältnis von Dingen und Zeichen sowie über die Klassifikation von Objekten." Dann erstaunt, dass kaum jemand über diesen Aspekt nachgedacht hat: Zitat: "Wie denn solche Reflektionsobjekte gemacht sind, ja, überhaupt gemacht werden können." |
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I. Die systematische Rekonstruktion als Werkprinzip "Der Flaschentrockner spaltete bicht nur die Produktion des Gegenstandes von der Fertigung des Kunstwerks ab. Auch letzteres vollzog sich in einzelnen, distinkten Schritten und in erheblicher zeitlicher Dehnung, wobei Idee und Ausführung, veränderte Idee und erneute Ausführung zu einer beständigen Modifikation des Werks führten. Obwohl Duchamp [im Jahr 1941] 1914 als Entstehungsdatum festlegte, erfuhr der Flaschentrockner seine erste Transformation [erst] zwei Jahre später, als Duchamp auf die Idee kam, ihn zu beschriften, zu signieren und rückwirkend zum Readymade zu erklären." […] "Die Réflexion à main über die Herstellung eines Kunstgegenstandes schloß Duchamp 1964 mit der Entscheidung ab, vierzehn der Readymades in einer Auflage von acht Stück bis zu fünfziehen Exemplaren herzustellen ein Entschluß, der vielen als Verrat an dem erschien, was sie als Konzept des Readymades verstanden hatten. Die Herstellung dieser Repliken vollzog sich mit jener handwerklicher Sorgfalt, die Duchamp auch bei anderen Hauptwerken walten ließ, [...] Die Multiples sollten exakt den verlorenen Originalen entsprechen. Da die jeweiligen Gegenstände aber mittlerweile nur in veränderter Gestalt käuflich waren, mussten sie als Einzelanfertigungen hergestellt werden, was insbesondere beim Porzellan-Urinal Fountain ein kostspieliges Verfahren erzwang. Isolierte das Readymade ein beliebiges Exemplar aus der industriellen Serienproduktion, kehrte Duchamp den kreativen Akt diemal um: Das Readymade ging nach einem individuellen Original in Serie." |
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II. Nachleben einer Gegenwart, die nie da war "Bei Duchamp beginnt alles mit der Reproduktion, erweist sich als das Nachleben einer Gegenwart, die nie da war und deren bedeutete Präsenz immer im nachhinein und gleichsam als Hinzufügung rekonstruiert wird. 'Meine Werke atmen', sagte Duchamp, der sich in späteren Jahren selbst gerne als 'Atmer' beschrieb, wenn er nach seiner Profession gefragt wurde. Das hohe Alter, das Duchamp erreichte, erlaubte es ihm, eine über Jahrzehnte sich erstreckende beständige Metamorphose des 'Flaschentrockners' teils zu initiieren, teils lediglich zu beobachten." |
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III. Zeitliche wie perspektivische Differenz Duchamps "Vortrag befasste sich mit zwei Relationen: mit derjenigen zwischen Künstler und Publikum, das Duchamp als Zuschauer und Nachwelt bezeichnet, und derjenigen zwischen Absicht und Verwirklichung, wenn ein Kunstwerk entsteht. Ersteres, die Relation von Künstler und Publikum, beschreibt er als Interaktion zweier unabhängiger Pole, die gleichberechtigt an der Werkkonstitution beteiligt seien. Produktion und Rezeption eines Kunstwerks unterscheiden sich jedoch, so Duchamp, in grundsätzlicher Weise. Verkörpere dieses für den Künstler das Ziel seines Tuns, bilde es für denjenigen, der es wahrnehme, den Ursprung seiner Wahrnehmung. Diese ebenso zeitliche wie perspektivische Differenz lässt nach Duchamp jeden Versuch illusorisch werden, Autor, Werk und Rezipient auf eine Linie zu bringen, beispielsweise nach einer Logik von Ursache und Wirkung. Die Formation des Werks und die Formation der Wirkung sind vielmehr gegenläufige asymmetrische Bewegungen. Den ungreifbaren Punkt, an dem sie sich berühren, bezeichnet er als den Ort einer »ästhetischen Osmose«." |
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